Die Dienstreisen in Ausland gehen weiter, wenn auch nur in der Europa League, welche aber meines Erachtens, von den Reisezielen her, die interessantere Aufgabe bietet. Immerhin hatte man die Gelegenheit an abgelegene Orte zu Reisen, die sonst nicht besucht werden würden. Das Los sollte mich dann nach Süditalien führen. Neapel genauer gesagt.
Mein Kollege und ich traten unsere Reise via Nürnberg und Rom, in der letzten Etappe per Mietwagen von Rom nach Neapel an. Das Autofahren in Neapel darf durchaus als absolutes Abenteuer gewertet werden. Rote Ampeln gelten lediglich als Empfehlung. Nach ein paar Minuten hatte ich mich aber an das Chaos auf den Straßen gewöhnt und das Gesetz des Stärkeren verinnerlicht, auch wenn insbesondere die stark befahrenen Kreuzungen für ungläubiges Staunen sorgten. Einfach fahren, die anderen halten schon an, hat dann auch wunderbar geklappt und ich konnte das Auto sicher zu unserem Hotel in einer Nebenstraße manövrieren. Dort erwartete uns ein netter Typ, welcher uns und unser Auto via eines Fahrstuhles auf das Dach des Hauses manövrierte und somit für Sicherheit vor den kriminellen Banden sorgte. Mit einem KFZ bin ich jetzt aber wirklich noch nie in einem Aufzug gefahren, strange Nummer.
Neapel stellt mit knapp einer Million Einwohner die drittgrößte Stadt in Italien dar, und gilt aufgrund der Mafiaorganisation Camorra als eine der kriminellsten Städte in Europa. Entsprechend war Vorsicht geboten und jederzeit wachsam, insbesondere gegenüber Motorrollern, zu sein, da die meisten Taschendiebstähle via Motorroller von statten gingen. Da die Mafia auch die Müllentsorgung kontrolliert, stellt sich Neapel als ziemlich abgefuckte und verdreckte Stadt dar. Welche aber durch seine Abgefucktheit und insbesondere durch seine unzähligen Graffiti zu beeindrucken wusste. Die Stadt bröckelte an allen Ecken und Enden und bot dadurch ihren ganz eigenen Charme und man konnte die Kriminalität förmlich riechen. Weiterhin stellt die Stadt einen Graffitihotspot dar, so dass Sprayer aus ganz Europa den Weg nach Neapel suchten um sich dort zu verewigen.
Das Stadio San Paolo wurde für die WM 1990 erbaut und seit dem nicht mehr saniert. Ein imposantes Bild tut sich auf, wenn man im Ground steht und den kleinen Unterrang kombiniert mit dem überdimensionierten Oberrang sieht. Selbstreden ist die Hütte komplett überdacht und völlig vergammelt. Auf dem Oberrang wachsen Pflanzen, die Sitze sind völlig ausgeblichen, die Klos entsprechen einem Standard aus dem letzten Jahrhundert und an allen Ecken bröckelt der Putz von den Wänden. Utopisch geile Bude!
Und auch die italienische Fankultur wusste zu imponieren, gilt sie doch als Begründer der Subkultur Ultra. Entsprechend gespannt war ich auf die Beiden Kurven. Denn Neapel bot mit Ultras Napoli und FED AYN 1979, in der Curva B, und diversen Gruppen in der Curva A, einige der ältesten Gruppen Italiens. Insbesondere FED AYN 1979 wird nächstes Jahr 40 Jahre alt. 40 Jahre Ultra hinterlassen Spuren und eine ganz eigene Mentalität. Und diese hat mich am meisten beeindruckt, denn die italienische Ultras-Mentalität konnte man förmlich spüren, sei es durch Graffitis, Support und Kleidungsstil, und diese hob sich deutlich von der Mentalität in den heimischen Gefilden ab.
Alles in allem war die Reise nach Neapel sehr beeindruckend, sei es durch die Erlebnisse im Stadion, aber auch durch die Stadt an sich. Ich fühlte mich stets beobachtet und auch ein bisschen beklemmt, aber niemals unwohl und war letztendlich von der Abgefucktheit und dem Alter der Stadt schwer beeindruckt.